Dienstag, 23. April 2013

Führung ist die höchste Form des Dienens
Teil 1: Selbstführung
Heute habe ich zu Beginn eine Frage an Sie. Sind Sie ein Führer? (Ich merke, dass es mir beim Gebrauch dieses Wortes etwas mulmig wird!) Vielleicht denken Sie ja, Sie seien keine Führungsperson oder Sie seien nicht zum Führen geboren. Vielleicht glauben Sie, es gibt genügend andere Menschen, mutigere, extrovertiertere Typen als Sie, die sich dazu berufen fühlen, zu führen. Aber Sie? Nein! Dann würde ich Sie gerne auf das Gedankenexperiment einladen, Führung einmal anders zu betrachten. Zum Beispiel so: 1) Führung fängt nicht erst dort an, wo es um die Führung anderer geht – Führung fängt bei Ihnen selbst an, bei Ihrem Leben! 2) Führung ist nicht Ausübung von Macht über andere, sondern sie ist ein Dienst, man könnte sogar sagen, sie ist die höchste Form des Dienens.
Führung fängt bei Ihnen selbst an – bei Ihrem Leben!
Führen Sie Ihr Leben oder führt Ihr Leben Sie? Lesen Sie diese Frage am besten mehrmals, bis sie wirklich bei Ihnen angekommen ist. Treffen Sie Entscheidungen bewusst oder unbewusst – oder teils-teils? Wir treffen den lieben langen Tag über Entscheidungen, allerdings sind uns die meisten dieser Entscheidungen nicht bewusst. Und wenn das so ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass unser Leben uns führt, statt umgekehrt.
Ein Beispiel: Der Wecker klingelt morgens um 6.00 Uhr. Vielleicht stehen Sie auf, weil Sie aufstehen müssen, weil Sie Kinder haben, für die Sie Frühstück machen müssen oder einen Job, der von Ihnen verlangt, um 8.00 Uhr anwesend zu sein. Es bleibt Ihnen also eigentlich gar nichts anderes übrig, als aufzustehen, obwohl Sie vielleicht noch müde sind. Um sich für die Arbeit fertig zu machen, ziehen Sie wie immer ein frisch gebügeltes Hemd an und einen Anzug, obwohl sie sich in Jeans und T-Shirt wohler fühlen, aber Ihr Arbeitgeber und die Kunden, mit denen Sie zu tun haben, erwarten das nun mal von Ihnen. Diesen Job haben Sie vor zwei Jahren angenommen, weil Sie dort mehr Geld verdienen, als bei Ihrer vorherigen Stelle und das war unbedingt notwendig, damit Sie die Raten für das Einfamilienhaus, dass Sie gekauft haben abbezahlen können. Die Arbeit selbst mögen Sie nicht sonderlich, aber Sie hatten ja keine andere Wahl. Die Kreditraten müssen monatlich bezahlt werden und eigentlich sollten Sie froh sein, dass es geklappt hat mit diesem Job. Das sagt zumindest Ihr Partner auch immer wieder. ...
Wenn Ihr Leben in etwa so abläuft und Sie meistens das Gefühl haben, dass Sie keine Wahl haben oder dass Sie durch äußere Umstände gezwungen sind, etwas zu tun oder zu lassen, dann sitzen Sie höchstwahrscheinlich nicht selbst am Steuer Ihres Lebens, sondern Sie reagieren automatisch und unbewusst nach den Regeln und Gesetzen Ihrer eigenen Box. Ihre Box hat nur ein Ziel, nämlich Ihr Überleben zu sichern und so befinden Sie sich im ‚Überlebensmodus‘, der Ihnen vorgaukelt, dass Sie keine anderen Möglichkeiten haben. Da die Box allerdings ein Teil von Ihnen ist, ist es nur die halbe Wahrheit, dass Sie nicht selbst am Steuer sitzen. Dass Sie die Dinge nicht selbst in der Hand haben, ist nur eine ausgeklügelte Illusion Ihrer Box, um Sie ja nicht auf die Idee kommen zu lassen, sich ein anderes Ziel zu suchen, als das Überleben. In Wahrheit sind Sie in diesem Falle eine Führungsperson, die unbewusst so tut, als wäre sie keine! Denn wenn Sie selbst die Führung über Ihr Leben bewusst übernehmen würden, geriete Ihre Box relativ schnell in Panik und würde in Ihnen das Gefühl von Angst auslösen, dass Sie das nicht überleben! Aber wir alle sind dazu fähig und mit den notwendigen Qualitäten ausgestattet, die Führung über unser eigenes Leben zu übernehmen!
Führung in Bezug auf Sie selbst, heißt dass Sie immer die Wahl haben, selbst wenn es noch so unwahrscheinlich aussieht, und Sie diese Wahl auch bewusst nutzen – und zwar nicht, um bloß zu überleben, sondern das in Ihrem Leben zu kreieren, was Ihnen zutiefst am Herzen liegt. Ihr erstes Hilfsmittel, um die Führung über Ihr Leben zu übernehmen, ist Ihre Aufmerksamkeit. Ein mögliches Experiment wäre zum Beispiel, dass Sie über einen längeren Zeitraum hinweg Ihre Aufmerksamkeit darauf legen, wie Sie Ihre Entscheidungen treffen. Und ich meine nicht die großen, wichtigen Entscheidungen, sondern die vielen kleinen unbewussten – von dem Moment an, am Morgen, wenn der Wecker klingelt und Sie entscheiden aufzustehen. Beobachten Sie sich bei allem, was Sie tun oder nicht tun: warum tun sie genau das? Machen Sie sich unbewusste Entscheidungen bewusst und verfolgen Sie sie zurück bis zu Ihrer Absicht. Ist die dahinterliegende Absicht ‚zu überleben‘ oder ‚Ihre Bestimmung in Aktion zu sein‘. Die Führung über das eigene Leben zu übernehmen bedeutet, die eigenen Entscheidungen immer mehr danach auszurichten, die eigene Bestimmung in Aktion zu sein (Anmerkung: dazu müssen Sie noch nicht wissen, worin Ihre Bestimmung liegt!). Wenn Sie dieses Experiment eine Weile durchführen, werden Sie sich wundern, wie viele unbewusste Überlebens-Entscheidungen Sie an einem Tag treffen. Lassen Sie sich von dieser Erkenntnis berühren! Und: etwas völlig anderes ist möglich – genau jetzt!

Führung ist die höchste Form des Dienens
In unserer Gesellschaft ist es leider ein wenig in Vergessenheit geraten, dass Führung eine Dienstleistung ist und kein Selbstzweck. Unsere hierarchischen Pyramiden-Systeme in Unternehmen oder auch in der Politik führen dazu, dass der Zweck der Führung nicht im Dienst an etwas Höherem gesehen wird, sondern darin, sich selbst zu erhalten (siehe oben ‚Überleben‘). Die Luft ‚da oben‘ wird eben dünner und so sehen sich Führungskräfte meist ‚gezwungen‘, um Ihre Position zu kämpfen, statt Ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen, nämlich den Staatsprinzipien, den Unternehmensprinzipien oder den Teamprinzipien zu dienen. Führung in ihrer verantwortlichen Form ist aber eine Dienstleistung – ein ‚sich in den Dienst stellen‘ von etwas Größerem. Ein ‚sich zur Verfügung stellen‘ und dafür seine persönlichen Interessen hintanstellen.
Wenn wir das jetzt wieder auf das Leben jedes einzelnen übertragen, wo es vordergründig nicht darum geht, andere zu führen – auf Ihr persönliches Leben: was könnte dort dieses ‚Größere‘ sein, dem Sie als Führungsperson dienen und wonach Sie Ihr Leben bewusst ausrichten können, statt nur zu überleben? Genau wie jeder Staat gewissen Prinzipien folgt (In Deutschland wären das z.B. Einigkeit und Recht und Freiheit) und jedes Unternehmen (z.B. Qualität, Kundenorientierung, o.ä.), so hat auch jede einzelne Person, also auch Sie, mindestens eine Handvoll Prinzipien, die ihr am Herzen liegen. Im Possibility Management nennen wir diese Prinzipien ‚Bestimmungs-Prinzipien‘, denn sie bilden die Grundlage für unsere Bestimmung. Meine Bestimmungsprinzipien sind z.B. Klarheit, Möglichkeit, Lebendigkeit, Transformation, Schönheit und Dienst. Und Ihre? Ich kann mir vorstellen, dass Sie ein oder zwei Ihrer Bestimmungsprinzipien schon jetzt benennen können, lediglich weil Sie jetzt wissen, dass es so etwas gibt. Ihre Bestimmungsprinzipien sind bereits jetzt in Ihrem Leben aktiv, obwohl Sie Ihnen vielleicht nicht bewusst sind. Aber sie führen z.B. dazu, dass Sie bestimmte Bücher lesen oder bestimmte Filme gerne mögen oder dass Sie sich an bestimmten Orten wohlfühlen, usw.
Wenn Sie sich aber bewusst entscheiden, damit aufzuhören, so zu tun, als ob Sie keine Führungsperson wären, und den Überlebensmodus einzutauschen gegen das Ziel, Ihre Bestimmung in Aktion zu sein, dann ist es hilfreich, Klarheit über Ihre eigenen Bestimmungs-Prinzipien zu bekommen. Wenn Sie Ihre Bestimmungsprinzipien kennen, dann können Sie sich im nächsten Schritt Ihren Prinzipien verpflichten und damit in Ihnen ein unstillbares Feuer zu entfachen, so dass Sie gar nicht anders können, als Ihre Bestimmung in Aktion zu sein. Ihre Box wird es dann sehr viel schwerer haben, Sie wieder in den Überlebensmodus zurück zu zerren.
Und dann könnte Ihr Tag so beginnen:
Der Wecker klingelt morgens um 6.00 Uhr. Sie bedanken sich bei Ihrem Wecker, dass er Sie zuverlässig geweckt hat und stehen auf. Die nächste halbe Stunde gehört allein Ihnen. Sie dehnen Ihren Körper mit ein bisschen Gymnastik und meditieren, um sich bewusst mit Ihrer Bestimmung zu verbinden. Jetzt sind Sie bereit – sie stehen zur Verfügung. Die nächste Stunde schenken Sie Ihre Aufmerksamkeit Ihrer Familie. Sie bereiten in Ruhe ein leckeres, nahrhaftes und gesundes Frühstück zu. Es ist Ihnen wichtig, dass Ihre Kinder, Ihr Partner und Sie selbst gut in den Tag starten. Beim Frühstück genießen Sie das Zusammensein mit Ihrer Familie und den Austausch. Um sich für die Arbeit fertig zu machen, ziehen Sie ein frisch gebügeltes Hemd an und einen Anzug. Sie möchten dadurch Ihre Wertschätzung Ihren Kunden gegenüber ausdrücken und freuen sich, wenn sich Ihre Kunden in Ihrer Gegenwart wohlfühlen, usw.
Bemerken Sie den Unterschied? Wir sind dazu geboren, die Führung über unser Leben zu übernehmen!


Herzlichst
Ihre Patrizia Servidio



Nützliche Fragen:
Führen Sie Ihr Leben oder führt Ihr Leben Sie?
Wie viele Entscheidungen treffen Sie tagtäglich unbewusst? Welche unbewusste Absicht verfolgen Sie?
Zu wieviel Prozent stecken Sie noch im Überlebensmodus?
Welchen versteckten Nutzen ziehen Sie daraus, dass Sie sich im Überlebensmodus befinden?
Was würde passieren, wenn Sie sich dafür entscheiden, Ihre Bestimmung in Aktion zu sein, statt nur zu überleben?
Können Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, ein Führer zu sein?

Donnerstag, 18. April 2013

Was lässt dich zögern? – Die Angst vor der Angst!
Wahrscheinlich habt Ihr das auch schon mal gehört. In den meisten spirituellen Disziplinen gibt es die Position: ‚Entweder du tust etwas aus Angst oder aus Liebe‘. Es wird erklärt, dass es – reduziert auf den Kern - nur zwei Grundmotivationen für unser Handeln gibt, eben entweder Angst oder Liebe. Als ich vor vielen Jahren das erste Mal darüber gelesen habe, konnte ich diesen Gedanken total nachvollziehen. „Ja, genau!“, dachte ich damals und beobachtete mich dahingehend, wann ich etwas aus Angst und wann aus Liebe tat. Mittlerweile denke ich anders darüber, weil ich ein paar interessante Unterscheidungen erhalten habe, die ich damals noch nicht kannte. Ich verstehe zwar, was damit gemeint ist, glaube aber, dass die Worte, die benutzt werden, um zu beschreiben, was dahinter steckt, unglücklich gewählt sind. Die Wahl der Worte führt nämlich unweigerlich dazu, dass unsere Haltung zur Angst negativ belegt wird bzw. bleibt. Die Wahl der Worte beinhaltet die Gefahr, dass wir werten: ‚Etwas aus Angst zu tun, ist schlecht und etwas aus Liebe zu tun, ist gut‘. Und das engt unser Spielfeld und unsere Möglichkeiten gewaltig ein!
Lasst uns mal genauer hinschauen. Ist Angst wirklich das Gegenteil von Liebe? Angst ist ein Gefühl - nämlich neben Wut, Traurigkeit und Freude eines unserer vier Grundgefühle. Gefühle sind etwas zutiefst Menschliches und unweigerlich mit dem Menschsein verbunden. Und Liebe? Entgegen der weitläufigen Meinung ist Liebe kein Gefühl. Liebe ist etwas viel Größeres als ein Gefühl. Liebe ist ein Prinzip, eine archetypische Naturgewalt, etwas Überpersönliches, das überall vorhanden ist und durch uns hindurch wirken kann. Wenn man es also genau betrachtet, heißt das, Angst und Liebe spielen in völlig unterschiedlichen Ligen. Wie sollen die beiden da also Gegenspieler sein? Das wäre ungefähr so als wollten wir eine Banane mit dem Atlantik vergleichen.
Und was ist ein Motiv? Motiv kommt vom lateinischen movere, was ‚bewegen‘ heißt. Etwas, das uns bewegt, etwas zu tun oder zu lassen. Wenn wir in Bezug auf Motive schon ein Gegensatzpaar suchen, dann wäre das auf der einen Seite die Bewegung hin zu etwas und auf der anderen Seite die Bewegung weg von etwas. Aber was ist dieses ‚etwas‘? Hin zu was? Weg von was? Machen wir einfach mal ein kleines Experiment und vertauschen das Wort ‚etwas‘ mit dem Wort ‚Verantwortung‘. Dann wären unsere zwei Grundmotivationen nicht Angst und Liebe, sondern Verantwortung vermeiden (weg von Verantwortung) oder Verantwortung übernehmen (hin zu Verantwortung). Dieses Experiment würde ein völlig neues Spielfeld eröffnen, in dem Angst und Liebe ihre ursprüngliche neutrale Bedeutung einnehmen könnten, nämlich als Grundgefühl und als Prinzip. Sie wären auf einmal keine Gegenspieler mehr.
hin zu Verantwortung          weg von Verantwortung
Und zu welcher Seite gehört nun die Angst? Vielleicht wird es Euch überraschen: Sie gehört zu beiden Seiten. Es gibt nämlich zwei Möglichkeiten, mit der Angst umzugehen: bewusst und verantwortlich oder unbewusst und unverantwortlich. In der Regel tun wir letzteres, weil wir in unserer Gesellschaft nicht lernen, mit unseren Gefühlen und damit auch mit unserer Angst umzugehen. Wir haben gelernt, dass Angst etwas ist, was unbedingt vermieden werden muss. Angst lässt uns erstarren, lässt uns nicht mehr richtig funktionieren und lässt uns schwach sein. Angst ist etwas für Angsthasen und Feiglinge und so weiter. Deshalb haben wir in unseren Gehirnen die Angst verkabelt mit ‚gefährlich‘ oder ‚todbringend‘ oder ‚negativ‘. Da wir aber zu jeder Zeit Gefühle haben und uns auch natürlicherweise zu jeder Zeit in unterschiedlicher Intensität ängstlich über etwas fühlen, hat diese Programmierung dazu geführt, dass wir uns taub gemacht haben gegenüber unserer Angst. Wir betäuben das Gefühl der Angst – koste es was es wolle. So dass wir unsere Angst lange Zeit gar nicht spüren oder erst, wenn sie so groß geworden ist, dass sie in Panik umschlägt und genau zu den o.g. Resultaten führt, was wiederum unsere Geschichte beweist, dass Angst gefährlich ist. Und wir haben uns einen Mechanismus zugelegt, der sich ‚die Angst vor der Angst‘ nennt. Die Angst vor der Angst führt dazu, dass wir noch nicht einmal unseren großen Zeh über die Grenze des uns Bekannten schieben, um zu prüfen, wie es sich dort draußen anfühlt. Sie lässt uns schön dort verweilen, wo es gemütlich, vermeintlich sicher und bekannt für uns ist – selbst wenn uns dieser Bereich verhasst ist oder uns von unserem eigentlichen Potenzial abschneidet. Die Angst vor der Angst ist keine echte Angst, kein Gefühl, sondern eine Emotion, die wir teilweise von anderen (z.B. unseren Eltern) übernommen haben und teilweise durch alte eigene Erfahrungen aus unserer Vergangenheit gespeist wird – die aber nichts mit der aktuellen Realität zu tun hat. Dennoch ist sie so stark, dass sie uns daran hindert, unsere Bestimmung in Aktion zu sein.
Wenn wir aber weg wollen von der unbewussten und unverantwortlichen Angst hin zur bewussten, verantwortlichen Angst, müssen wir unsere Angst neu verkabeln. Was ist Angst eigentlich? Angst ist ein Gefühl und Gefühle sind weder gut noch schlecht. Gefühle dienen uns professionell, indem sie uns wichtige Informationen und Energie liefern, um bestimmte Handlungen ausführen zu können. So lässt uns Angst z.B. wach sein und Kleinigkeiten wahrnehmen. Angst lässt uns sorgfältig sein. Angst informiert uns darüber, dass wir unbekanntes Terrain betreten und weist uns den Weg. Angst lässt uns ungewöhnliche Lösungen und Auswege finden. Angst erweitert unsere inneren Grenzen und lässt uns auch außerhalb unserer bekannten Box unbegrenzt schöpferisch sein und vieles mehr. Der mit verantwortlicher Angst verbundene Archetyp ist der Schöpfer, der Magier.
Aber nochmal zurück zu den zwei Grundmotivationen: hin zu Verantwortung und weg von Verantwortung. Ausschlaggebend dabei ist, dass uns letztere Motivation in der Regel gar nicht bewusst ist. Das heißt, wir sind uns unserer Absicht, Verantwortung zu vermeiden, meist nicht bewusst. Aber warum sollten wir die unbewusste Absicht haben, Verantwortung zu vermeiden? Ich glaube diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn wir mal darüber nachdenken, was wir in unserer Kultur mit ‚Verantwortung‘ verbinden. Uns wurde beigebracht, dass Verantwortung zu übernehmen, nicht unbedingt eine attraktive Sache ist, denn es würde unter anderem bedeuten, dass wir ‚schuld‘ sind, wenn etwas schief geht. Und um keine Verantwortung zu übernehmen, nutzen wir unsere Gefühle - unter anderem eben auch die Angst – wie oben beschrieben unverantwortlich.
Jetzt fehlt aber noch der Bezug zur Liebe. Was ist mit der Liebe, welche Rolle spielt sie in diesem Spiel? Wenn wir der unbewussten Absicht dienen, Verantwortung zu vermeiden, erzielen wir dadurch auch unbewusste und unverantwortliche Ergebnisse. Ein Beispiel: Vielleicht möchtest du seit Jahren schon deiner Bestimmung dienen. Weil in dir aber die unbewusste Absicht aktiv ist, Verantwortung zu vermeiden, nutzt du deine Angst unverantwortlich dazu, dir tausend Gründe auszudenken, warum es nicht möglich ist, den ersten Schritt in Richtung deiner Bestimmung zu tun („Das geht jetzt noch nicht, denn wir müssen erst das Haus abbezahlen.“; „In deinem Alter – nochmal völlig neu anfangen – wie stellst du dir das vor?“; „Denkst du eigentlich auch mal an deine Familie? Die Kinder brauchen dich doch!“ usw.). Und/oder du suchst dir Menschen in deinem Umfeld aus, die dich darin bekräftigen, dass es nicht geht. Und das Ergebnis? Du bleibst stecken im Hamsterrad des Überlebens. Du jammerst den lieben langen Tag über deine ausweglose Situation. Du beschuldigst andere oder dich selbst dafür, dass es dir schlecht geht, usw. Das sind die unverantwortlichen Ergebnisse, die unbewusst erzielt werden – denn bewusst würdest du natürlich viel lieber andere Ergebnisse erzielen. Es sind sogenannte Schattenprinzipien, wie Neid, Konkurrenz, Beschuldigung, Faulheit, Getrenntsein, usw. die dadurch genährt werden.
Liebe dagegen ist ein helles Prinzip – eines von vielen hellen Prinzipien. Andere helle Prinzipien sind zum Beispiel: Klarheit, Schönheit, Möglichkeit, Verbindung, Achtsamkeit, Qualität, Integrität, Entwicklung, Transformation, Sein mit, Authentizität, usw. Wenn wir der bewussten Absicht dienen, Verantwortung zu übernehmen, dann erzielen wir verantwortliche Ergebnisse, indem wir zum Beispiel auch unsere Gefühle verantwortlich nutzen. Um im oben genannten Beispiel zu bleiben, ginge das wie folgt: Du möchtest seit Jahren schon deiner Bestimmung dienen, du hast aber Angst, weil du nicht weißt wie es geht. Du bist dir dieser Angst bewusst und nutzt diese Angst auch bewusst. Zum Beispiel lässt du dich von deiner Angst darüber informieren, wen du am besten um Hilfe bittest. Deine Angst würde dir sofort die richtige(n) Person(en) nennen, nämlich jemanden, der offen und berührbar ist für die Idee, die eigene Bestimmung zu leben. Im nächsten Schritt würdest du deine Angst dazu nutzen, genau diese Person anzurufen, selbst wenn deine Hände zittern, wenn du die Nummer wählst. Du würdest deine Angst nutzen, um vielleicht folgendes zu sagen: „Hallo xy, ich habe eine ungewöhnliche Bitte an dich. Ich sehne mich schon seit Jahren danach, meiner Bestimmung zu folgen und ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Könntest du mir bitte Möglichkeiten geben, wie ich das ganze angehen könnte?“ Könnt Ihr Euch vorstellen, wie das weitergeht? Spürt Ihr, wie sich leise ein Lächeln auf Eurem Gesicht und Freude in Eurem Körper ausbreitet. Stellt Euch vor, ihr seid die Person, die angerufen wurde und der andere hätte das zu Euch gesagt. Ihr würdet vielleicht antworten: „Wow, super, xy! Ich bewundere deinen Mut. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du den ersten Schritt schon getan hast? Wie wäre es, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen, ich würde nämlich auch gerne meine Bestimmung leben. ...“
Bemerkt Ihr den Unterschied? Die bewusste Absicht, Verantwortung zu übernehmen führt zu anderen Ergebnissen. Sie dient hellen Prinzipien, wie eben Liebe oder Verbindung, Würde, Spaß auf hohem Niveau und lässt uns unsere Bestimmung in Aktion sein. Und dennoch ist die Angst da. Sie darf sogar da sein, sie hat ihren Zweck und wird genutzt!
Angst ist Angst. Liebe ist Liebe. Und es könnte nützlich sein, uns selbst bei allem, was wir tun oder lassen, zu fragen: „Was ist meine Absicht? Will ich gerade Verantwortung übernehmen oder Verantwortung vermeiden? Denn es gibt nur zwei Grundmotivationen für unser Handeln: Verantwortung übernehmen oder Verantwortung vermeiden.

Herzlichst
Eure Patrizia



Nützliche Fragen:
Wie ist deine Beziehung zu deiner Angst? Besitzt dich deine Angst noch oder hast du sie schon in Besitz genommen?
Glaubst du noch daran, dass es so etwas wie Sicherheit wirklich gibt und dass die Angst irgendwann verschwindet?
Was wäre in deinem Leben alles möglich/Was könntest du alles tun, wenn du keine Angst vor der Angst hättest?
Wo vermeidest du offensichtlich Verantwortung? (Wenn du die Frage für dich selbst beantwortet hast, frage noch ein bis zwei Personen, dir dazu Feedback zu geben – wichtig: frage gefährliche Personen, die ihre eigene Angst nicht dazu benutzen, dich zu retten ;O))

hin zu Verantwortung
weg von Verantwortung
bewusste Absicht
unbewusste Absicht
hohes Drama
niederes Drama
Bestimmung in Aktion
durch die Box getrieben
verantwortliche Angst (Schöpfer)
unverantwortliche Angst (Retter)
dient hellen Prinzipien (z.B. Liebe)
dient Schattenprinzipien (z.B. Rechthaberei)


Deine Bestimmung könnte dort liegen, wo der Schmerz über das was ist für dich am größten ist!
Die Sehnsucht, die eigene Bestimmung zu finden und letztendlich auch zu leben, treibt immer mehr Menschen an, sich diesem Thema zu widmen. Vielen wird bewusst, dass es etwas anderes geben muss, als nur zu Arbeiten um zu Leben und so machen sie sich auf die Suche. Immer öfter werde ich in meinen Trainings oder auch in privaten Gesprächen mit der Frage konfrontiert: „Wo liegt meine Bestimmung?“
Die eigene Bestimmung zu entdecken ist keine leichte Aufgabe. In unserer Kindheit und Jugend wurde uns abtrainiert, den inneren Ruf zu hören, indem wir in das Einheitsraster unseres Schulsystems gepresst wurden. Entweder du warst in allen Fächern einigermaßen gut oder du warst verloren. Auf spezielle Talente oder Gaben wurde nur wenig Rücksicht genommen, geschweige denn wurden diese gefördert – außer sie passten eben in das Raster. Dies und noch andere Mechanismen haben dazu geführt, dass wir in vielen Fällen zunächst nicht in der Lage sind herauszufinden, wo unsere Bestimmung liegt. Und dieser Umstand kann zu echter Verzweiflung führen.
Einen Hinweis auf unsere Bestimmung können uns einerseits unsere Talente liefern, indem wir unsere ‚Gaben‘ als ‚Aufgaben‘ wahrnehmen lernen und diese der Welt zur Verfügung stellen. Das ist der eine Teil. Der Teil, bei dem es darum geht, was wir tun können. Es gibt aber noch andere Hinweise auf die eigene Bestimmung. Wenn wir bestimmte Dinge sehen, wie sie gerade sind und gleichzeitig eine Vision davon haben, wie sie sein könnten, entsteht in uns eine innere Spannung, ein Schmerz. Dieser Schmerz, den wir über die Differenz zwischen den Umständen, wie sie im Moment sind und wie sie sein könnten, empfinden, kann uns einerseits informieren, in welche Richtung unsere Lebensaufgabe gehen könnte, andererseits versorgt er uns mit der notwendigen Energie, um aktiv zu werden und die Umstände in unserem Leben so zu verändern, dass wir authentisch unserer Bestimmung dienen. So wird Schmerz zum Raketentreibstoff, um die eigene Bestimmung in Aktion zu werden.
Ein Beispiel:
Eine gute Freundin von mir war zum Essen in einem Lokal, in dem gerade eine Hochzeitsfeier stattfand. Alles war wunderschön und dem Anlass entsprechend arrangiert. Das Essen, die Dekoration, die Gäste, di Musik, das Brautpaar selbst und vor allem die Braut. Sie hatte ein traumhaftes Kleid an, das Make up und die Hochsteckfrisur waren sensationell. Meine Freundin genoss den Anblick dieser von Liebe und Schönheit strahlenden Hochzeitsgesellschaft. Zumindest so lange, bis die Braut aufstand und ein paar Schritte durch den Raum ging. Sie trug hohe Schuhe und war nicht gewohnt auf diesen zu laufen, so dass ihr ungeübter Gang und die Schmerzen, die ihr die Schuhe offensichtlich bereiteten, den Rest ihrer Erscheinung total überstrahlte. Darüber fühlte sich meine Freundin sehr traurig und dieser Schmerz breitete sich in ihrem kompletten Sein aus. Der Schmerz ließ sie aktiv werden. Heute gibt sie sehr erfolgreich Kurse für Frauen (und Männer) und bringt ihnen bei, auf hohen und niedrigen Absätzen elegant und gesund zu gehen. Ganz nebenbei vermittelt sie ihren Teilnehmern ein positives Körpergefühl, eine zentrierte Haltung und ein gesteigertes Selbstvertrauen. Mittlerweile hat sie ihre eigene Methode entwickelt. Sie strahlt das, was sie vermittelt, über jede Pore, jedes Wort, jede Geste aus. Sie ist ihre Bestimmung in Aktion.
Und das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen dieser innere Schmerz die Richtung der eigenen Bestimmung vorgegeben und den Treibstoff für entsprechende Taten geliefert hat. Damit dies in unserem Leben passieren kann, gibt es mehrere Voraussetzungen.

1.    Gefühle - es muss für uns in Ordnung sein, zu fühlen
Klingt erst mal trivial, ist es aber bei weitem nicht. In der Welt, aus der ich komme, waren Gefühle nicht in Ordnung. Wenn ich als Kind einen Wutanfall bekam, musste ich so lange in mein Zimmer gehen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Wenn ich traurig war und geweint habe, hat man mir gesagt, es sei alles nicht so schlimm oder man hat mich mit ‚Heulsuse‘ beschimpft. Kommt Euch das bekannt vor? Wer von Euch wurde noch niemals als ‚Angsthase‘ bezeichnet? Unsere Sprache ist voll von Schimpfworten und Sprichwörtern, die alle nur eines bedeuten: „Gefühle sind etwas für Schwache!“. Dies hat in der Regel dazu geführt, dass wir unsere ‚Taubheitsschwelle‘ sehr hoch geschraubt haben. Wir haben jahrelang trainiert, nichts mehr zu fühlen. Da muss ein Gefühl schon ziemlich groß und übermächtig werden, dass der Deckel auf unserer Taubheitsschwelle abspringt und das Gefühl unkontrolliert aus uns herausbricht. Und dann schämen wir uns dafür oder man rät uns zu einer Therapie, um das wieder in den Griff zu bekommen.
Und es gibt für uns unzählige Möglichkeiten, um diese Taubheitsschwelle hoch zu halten und nichts zu fühlen. Wir müssen nur den Fernseher, das Radio oder den Computer anschalten. Oder so viel essen, bis wir uns kaum noch bewegen können. Auch Suchtmittel helfen gut gegen das Fühlen: Süßigkeiten, insbesondere Schokolade, Alkohol, Nikotin ... oder eine ausgedehnte Shoppingtour. Was sind Eure bevorzugten Gefühlsdämpfer?
Mit einigen Unterscheidungen in Bezug auf Gefühle und mit einiger Übung (Gefühlsarbeit) ist es möglich, sich das Territorium der Gefühle wieder zurückzuerobern. Wir können wieder lernen zu fühlen und diese Gefühle professionell für unser Leben zu nutzen. Zum Beispiel dafür, uns von unserer Bestimmung ‚berühren‘ zu lassen. Den Schmerz – in Form von Wut, Traurigkeit, Angst und Freude - zu fühlen, der uns über die Richtung unserer Bestimmung informiert und uns das notwendige innere Brennen verleiht, um in Aktion zu treten.

2.    Verantwortung - es ist notwendig, die volle Verantwortung zu übernehmen
In unserer Gesellschaft können wir mühelos ein ganzes Leben verbringen, ohne jemals erwachsen zu werden oder die volle Verantwortung für uns zu übernehmen. Ratet mal wie viele Menschen genau das tun! Es gibt keinen rituellen Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Es gibt keinen Ältestenrat, dem wir verdeutlichen müssen, welchen Beitrag wir leisten wollen und der dann entscheidet, ob wir in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden. Es gibt keine offizielle Quest, bei der wir unser Leben riskieren, um unsere Vision und unsere Medizin für die Gemeinschaft zu finden.
Dafür gibt es das Arbeitsamt und Stellenanzeigen in der Zeitung, es gibt ein Rentensystem und eine Absicherung für den Krankheitsfall, es gibt Vater Staat, der für uns aufkommt, wenn wir in Not geraten. Es gibt den vorgezeichneten Weg unserer Eltern: wir gehen zur Schule, dann machen wir eine Ausbildung, dann suchen wir uns einen guten Arbeitsplatz, machen ein- bis zweimal pro Jahr Urlaub, gründen vielleicht eine Familie und bauen ein Haus und irgendwann ist die ganze Schufterei vorbei und wir genießen das Leben als Rentner. Klingt doch toll, wer braucht da Bestimmung?
Es braucht Mut, einen anderen Weg zu gehen. Es braucht Mut, dem schönen Schein angeblicher Sicherheit zu widerstehen. Es braucht Mut, den Menschen im Umfeld zu widersprechen. Es gibt noch so wenige Vorbilder, denen wir folgen können. Und in Bezug auf unsere Bestimmung wird es niemals jemanden geben, der den Weg für uns bahnt – also können wir den Wunsch, jemandem zu folgen, getrost vergessen. Ihr geht den ersten Schritt und den nächsten und nächsten - in unbekanntes Gebiet. Wenn Ihr auf der Suche nach Eurer Bestimmung seid, fragt Euch, ob ihr wirklich dazu bereit seid? Seid Ihr bereit den vollen Preis zu bezahlen und die volle Verantwortung zu übernehmen? Was ist denn der Preis, den wir bezahlen, wenn wir Verantwortung übernehmen? Der Preis sind all die liebgewonnenen Geschichten und Ausreden, die wir bisher dafür benutzt haben, nicht in Aktion treten zu müssen, nicht unserer Bestimmung zu dienen, nicht unser volles Potenzial zu leben. All die Hintertürchen, die wir uns offen gelassen haben und all die Menschen und Situationen, die schuld daran sind, dass wir bisher keinen anderen Weg gehen konnten. In unserer Kultur wird Verantwortung immer noch gleich gesetzt mit Mühsal und Schuld. Wer will da schon freiwillig Verantwortung übernehmen?
Dumm nur, dass Bestimmung sich erst ab einem gewissen Grad von Verantwortung zeigt. Und Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht, zu wissen wie es geht! „Wenn ich nur wüsste, was meine Bestimmung ist, dann könnte ich auch die Verantwortung dafür übernehmen.“ Wie oft höre ich diesen Satz? Forget it! Die Entscheidung kommt zuerst. Wir können Verantwortung übernehmen und eine Entscheidung treffen, ohne zu wissen wie es geht. Das ist eines der größten Geheimnisse in Bezug auf Bestimmung: sich zu verpflichten, bevor man weiß wie es geht. Sich zur Verfügung zu stellen, ohne einen ausgeklügelten Plan zu haben. Klingt ziemlich beängstigend – womit wir wieder bei den Gefühlen wären. Erwachsen und verantwortlich zu sein, heißt nicht, keine Angst zu fühlen. Es heißt, Angst zu fühlen und dennoch in Aktion zu treten, weil es etwas Wichtigeres gibt, als die Angst. Das ist Bestimmung in Aktion.

Vor kurzem wurde ich gefragt, wie viele meiner Klienten Ihre Berufung nach einem Berufungscoaching wirklich umsetzen. Es sind zu wenige für meinen Geschmack! Und es kommt darauf an! Nämlich unter anderem darauf, in wie weit die notwendigen Bedingungen bereits vorhanden sind. Ist der Boden bereit, auf dem der Samen der eigenen Berufung wachsen kann? Oftmals braucht es erst eine Initiation ins Erwachsensein in Form von Prozessen und Gefühlsarbeit, um die eigene Bestimmung wirklich in die Welt zu bringen.

Herzlichst
Eure Patrizia



Nützliche Fragen:
Welche Umstände in der Welt, wie sie derzeit ist, oder in deinem Umfeld bereiten dir Schmerz/Wut/ Traurigkeit? Wo würdest du gerne etwas verändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
Was sind deine bevorzugten Gefühls-Dämpfer, was tust du um nicht fühlen zu müssen?
Was sind deine Lieblings-Ausreden, um nicht für deine Bestimmung in Aktion treten zu müssen?
Wen machst du (unbewusst) dafür verantwortlich, dass dein Leben nicht in Richtung deiner Bestimmung läuft?

Die guten Vorsätze – gefundenes Fressen für unseren inneren Schweinehund
Ist das nicht interessant? Jedes Jahr zum Jahreswechsel das gleiche Spiel. Habt Ihr Euch etwas vorgenommen? Etwas, was Ihr vielleicht schon lange ändern, aufgeben oder anfangen wollt? Aber irgendwie will es einfach nicht klappen. Aber dieses Jahr ganz bestimmt – Indianer-Ehrenwort! Und dann wird zwei, drei Tage, vielleicht auch eine oder zwei Wochen lang, auf Nikotin, Alkohol oder den Fernseher am Abend verzichtet, ins Fitnessstudio gegangen, morgens gelaufen, was das Zeug hält, sich gesünder ernährt, Süßigkeiten weggelassen, meditiert oder was auch immer auf Eurer Liste der guten Vorsätze drauf stand. Es geht ganz gut los – wir nutzen den Schwung des Neubeginns des neuen Jahres, wir fühlen uns gut.
Und dann ... nach ein paar Tagen ... beginnt jemand heimlich still und leise Sand ins Getriebe zu werfen und der Schwung lässt nach. Es wird immer schwerer, sich durchzuringen und diszipliniert zu bleiben. Der innere Schweinehund, unser Gremlin, hat mal wieder zugeschlagen aus irgendeiner dunklen Ecke, damit wir ihn nicht erkennen. Er untergräbt und sabotiert unsere guten Vorsätze nach Strich und Faden.
„Naja, eine Zigarette – ist ja nicht so schlimm – immer noch viel besser als vorher.“ Und aus der einen Zigarette werden bald zwei, drei, ... und wir sind wieder genau dort, wo wir angefangen haben. „Jeden zweiten Tag Laufen reicht doch völlig aus – der Körper muss sich zwischendrin doch erholen!“ „Ach, heute nicht, ich fühl mich heute einfach nicht so gut. Dafür lauf ich dann morgen und übermorgen.“ Bla, bla, bla ... Kommt Euch diese Stimme irgendwie bekannt vor? Sie ist süß und verführerisch und lässt uns morgens eine Stunde länger im Bett liegen, statt Yoga zu machen, obwohl wir uns das eigentlich vorgenommen hatten. Für einen kurzen Moment haben wir unseren Gremlin vom Fahrersitz verscheucht und uns wieder selbst ans Steuer unseres Lebens gesetzt. Und mit seiner süßen, klebrigen Stimme hat er uns nach ein paar Tagen wieder hypnotisiert und sich auf unseren Schoß ans Steuer gesetzt und sich sein Fressen geholt. Lecker, schlabber, schlabber, ... Und wenn das passiert, ändert sich auch meist die Stimme unseres Gremlins: „Hab ich dir doch gleich gesagt, dass du das nicht schaffst! Letztes Jahr hat es doch auch nicht geklappt. Warum probierst du es überhaupt? Du bist einfach nicht stark genug. Loser! Weichei! Hihihihi ...“ Wir beginnen, uns Vorwürfe zu machen, starten vielleicht noch ein, zwei halbherzige Versuche und dann geben wir mit einem ziemlich schlechten Gewissen auf. Viele meiner Freunde und Bekannten nehmen sich deshalb schon gar nichts mehr vor – weder zu Neujahr noch zu sonst einem Zeitpunkt, weil sie, wie wir alle, die Erfahrung gemacht haben, dass es genau so abläuft.
Aber ist das wirklich eine lebenswerte Strategie, sich nichts mehr vorzunehmen? Zugegeben, vordergründig mag sie uns davon abhalten, uns schlecht zu fühlen und uns Vorwürfe zu machen. Aber mal ehrlich, fühlt es sich wirklich gut an, in vollem Bewusstsein unserem Gremlin – dem König unserer Unterwelt – so mir nichts, dir nichts das Spielfeld, d.h. unser Leben, zu überlassen? Bullshit! Jeder der das behauptet, verdient einen Master-Abschluss im Fach ‚Selbstbetrug‘. Aber was ist die Alternative, was können wir tun, in Bezug auf diesen hinterhältigen, gewitzten, hungrigen, immer lauernden Teil in uns, der so gerne sabotiert und zerstört und Verantwortung und Disziplin scheut, wie der Teufel das Weihwasser?
Mit etwas Geduld und Spucke können wir ihn zähmen und abrichten, denn dieser Teil in uns ist weder gut noch schlecht, sondern er produziert bestimmte Ergebnisse, wenn wir ihm das Feld überlassen. Und meist sind es nicht die Ergebnisse, die wir uns für unser Leben wünschen. Dennoch hat dieser Teil in uns, unser Gremlin, gewisse Qualitäten, die in bestimmten Situationen recht hilfreich sind. Zum Beispiel ist unser Gremlin immer auf der Lauer nach Gelegenheiten, sich sein Lieblingsfutter zu holen, z.B. niederes Drama, Streitereien und Rechthabereien mit unseren Liebsten. Wenn uns unser Gremlin noch unbewusst ist, finden wir uns ungewollt ganz schnell in solchen Situationen wieder und wissen meist gar nicht, wie es dazu gekommen ist. Eigentlich wollten wir einen schönen Nachmittag mit unserem Schatz verbringen und irgendwie endete alles in einem Streit. Wie konnte das nur passieren? Offensichtlich hat unser Gremlin eine kleine Gelegenheit wahrgenommen und genutzt – denn er liebt es, wenn etwas kaputt geht. Diese Wachheit für ‚Gelegenheiten‘ können wir uns auch zunutze machen, wenn wir unseren Gremlin gezähmt haben. Wir können ihn z.B. darauf abrichten, dass er uns warnt, wenn ein niederes Drama auf uns zurollt, so dass wir die Möglichkeit haben, etwas anderes zu kreieren. Eine weitere Qualität unseres Gremlins, ist die Fähigkeit, etwas zu zerstören. Klingt erst mal nicht gerade nützlich, oder? Dennoch gibt es Momente, in denen es äußerst sinnvoll ist, etwas zu zerstören, zum Beispiel eine liebgewonnene Illusion oder einen Selbstbetrug. Diese Qualität können wir zum Beispiel dazu einsetzen, einem Freund eine gefährliche Frage zu stellen, die sein Leben verändern könnte, statt nett zu sein, um ihn ja nicht zu verletzen. Oder um uns selbst so eine gefährliche Frage zu stellen. Warum bleibst du in einem Job, den du nicht magst und in dem du keinen Sinn siehst? Warum isst du mehr, als dein Körper verdauen kann? Was müsstest du aufgeben, wenn du radikal ehrlich zu dir selbst wärest? ... Doch ganz schön nützlich diese Gremlin-Qualitäten, oder? Es gibt noch ein paar mehr davon. Aber, wie gesagt, wir erhalten nur Zugang zu diesem Qualitäten, wenn wir es schaffen, unseren Gremlin zu zähmen und ihn, wie einen Hund (innerer Schweinehund), an einer kurzen Kette (eine Leine wäre nicht stark genug) an unserer Seite haben und er auf unsere Kommandos hört.
Und wie funktioniert diese Gremlin-Zähmung? Sie funktioniert in drei Schritten:
1.         Gremlin ist Gremlin
Die erste und grundsätzliche Bedingung ist, dass wir anerkennen, dass es diesen Teil in uns gibt, dass er überhaupt existiert und dass er ein Teil von uns ist. Dieser Teil von uns geht auch nicht weg, wir können ihn nicht töten oder ‚überwinden‘. Einige New Age-Richtungen versuchen genau das. Wenn du nur weit genug entwickelt bist und genug meditiert hast, dann hast du deine Unterwelt ‚sublimiert‘ und wirst erleuchtet. Oder so ähnlich. Oder die strengen religiös/kirchlichen Richtungen, die versuchen durch Selbstbestrafung und Buße den Gremlin ‚auszutreiben‘. So funktioniert es einfach nicht – je mehr wir eine Sache leugnen oder loshaben wollen, desto stärker wird sie.
 2.         Den Gremlin entlarven
Unser Gremlin gedeiht am besten in der Unbewusstheit – in den dunklen Ecken unserer Wahrnehmung. Von dort aus kann er am besten agieren und genau dann ‚zuschlagen‘ wenn wir es am wenigsten erwarten. Das heißt im Umkehrschluss, der sicherste Weg zur Gremlin-Zähmung ist Bewusstheit. Bewusstheit über unseren Gremlin-Anteil bekommen wir schon alleine dadurch, dass wir uns unseren Gremlin genau anschauen. Versucht einfach so viel wie möglich, über ihn herauszufinden. Lernt ihn so richtig gut kennen. Dann wird es ihm nicht mehr gelingen, aus dem Hinterhalt zu agieren. Es ist nützlich zum Beispiel folgendes herauszufinden:
·         Wie sieht er aus? Male ein Bild von deinem Gremlin!
·         Wie heißt er? Sprich ihn mit seinem Namen an! Du musst ihn jederzeit bei Fuß rufen können!
·         Was ist sein Lieblingsfutter?
Beispiele für typisches Gremlinfutter:
Den Tag nicht ohne Kaffee beginnen können
Ständig Süßigkeiten, Schokolade, Kuchen, Plätzen essen
Machtkämpfe und Rechthaberei mit dem Partner austragen
Regelmäßig Cola und Fast Food
Rauchen
Regelmäßig Alkohol trinken
Shopping-Anfälle
Tratschen und Lästern über Leute, die nicht anwesend sind
Videospiele spielen bis der halbe Tag vorbei ist
Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften, Serien schauen
Jammern, sich beschweren, im Auto andere Autofahrer beschimpfen
Ständig zu spät kommen
Bei jeder Gelegenheit flirten
Schadenfreude, sich über andere lustig machen, spitze Bemerkungen
·         Wann hat er Hunger? Braucht er einmal pro Woche eine größere Mahlzeit oder ist er eher ein Snacker und braucht dreimal täglich kleine Häppchen?
·         Was sind sonst so seine Gewohnheiten?

3.         Regelmäßige Fütterung und interessante Aufgaben
Habt Ihr schon mal im Fernsehen den Hundeprofi gesehen? Nein? Aber Ihr wisst sicher, dass es Hundeschulen gibt und Hundetrainer. Dabei werden Hunde trainiert und darauf abgerichtet, auf die Kommandos ihrer Herrchen zu hören und zwar in jeder Situation. Beim Gremlin-Zähmen ist es ähnlich. Eine der wichtigsten Punkte beim Gremlin-Zähmen ist die regelmäßige bewusste Fütterung des Gremlins. Denn nur, wenn der Gremlin weiß, dass er regelmäßig seine Lieblingsspeisen von Euch zu fressen bekommt, wird er kooperativ sein und sich sein Futter nicht mehr selbst holen, wann er es will. Eine Möglichkeit wäre es zum Beispiel, an einem von Euch bestimmten Tag in der Woche, z.B. Samstags, Eurem Gremlin von morgens bis abends seine Lieblingsspeisen vorzusetzen. Er darf Filme schauen, Videospiele spielen und Fast Food und Süßigkeiten essen – wenn das sein Lieblingsfutter ist. Wenn Rechthaberei sein Lieblingsfutter ist, dann wäre z.B. ein Gesellschaftsspiel bei dem es um Wissen geht eine super Möglichkeit ihn zu füttern.
Der zweite wichtige Punkt bei Gremlin-Zähmen ist, dass Euer Gremlin interessante Aufgaben bekommt, denn sonst langweilt er sich und wenn ihm langweilig ist, ratet mal, was er dann tut? Und jetzt wird es spannend, denn Ihr könnt Euren Gremlin genau für die Ziele und Absichten einsetzen, die er in unbewusstem Zustand so gerne sabotiert hat. Ihr könnt seine Kraft und Wachheit, seine Fähigkeit zu zerstören, zum Beispiel dafür einsetzen, dass ihr eure guten Vorsätze durchzieht, bis zu dem Punkt an dem euer guter Vorsatz zu neuem Verhalten wird. Gebt ihm die Aufgabe, dass er jeden noch so kleinen Widerstand aufspürt und ‚zerstört‘ bevor er größer werden kann. Das hört sich paradox an – aber es funktioniert! Statt eure guten Vorsätze zu sabotieren, richtet ihn dazu ab, die Sabotage zu sabotieren! Und glaubt mir, das ist eine sehr interessante Aufgabe für Euren Gremlin – es wird im nicht langweilig werden!

4.         Piratenabkommen
Wenn du ganz auf Nummer Sicher gehen möchtest in Bezug auf deine guten Vorsätze, dann gibt es noch die Möglichkeit, dem Gremlin einer anderen Person eine interessante Aufgabe zu geben, in Form einer Abmachung, die du mit dieser Person triffst. Das nennt sich Piratenabkommen. Hier ein Beispiel: Ich selbst habe mir vorgenommen, unter der Woche um 06.00 Uhr aufzustehen, um morgens genügend Zeit zu haben, um zu meditieren, zu laufen und Yoga zu machen. Mein Freund steht jeden Tag um 05:45 Uhr auf und geht um 06:10 Uhr aus dem Haus. Ich habe mit ihm ein Piratenabkommen getroffen, dass er – falls ich nicht von selbst aufstehe – dafür sorgt, dass ich aufgestanden bin, bis er das Haus verlässt. Ich habe ihm die Erlaubnis gegeben, dafür alle Mittel einzusetzen, die ihm einfallen – alle !! - und ihn gebeten, auf keine Ausrede von mir zu reagieren – egal wie nachvollziehbar oder mitleiderregend sie auch sein mag. Es funktioniert! Seine Kitzelattacken reichen vollkommen aus, ich habe nämlich keine Lust, im Bett mit einem Eimer eiskalten Wasser übergossen zu werden.
Manchmal – wenn ihr etwas wirklich Schwieriges vorhabt – macht es Sinn, auch ein ‚Piraten-Opfer‘ auszumachen für den Fall, dass Ihr trotz des vollen Einsatzes des Piraten-Kollegen, rückfällig werdet. Dieses Opfer muss wirklich weh tun! Z.B. ein hoher Geldbetrag, den Ihr einer Organisation spenden müsst oder Ihr verpflichtet Euch, Euren Piraten-Kollegen einen Monat lang von vorne bis hinten zu bedienen, oder oder oder. Aber, es muss etwas sein, das Euch wirklich weh tut. Harbigarrr!
Wichtig ist bei aller Gremlin-Zähmerei und der Umsetzung von Zielen und Vorsätzen nicht neurotisch zu werden und daraus dann wieder unbewusstes Gremlin-Futter zu kreieren. Hilfreich ist dabei immer die Haltung eines Forschers und Abenteurers. Dann kann die ganze Sache mit den Vorsätzen zu einer sehr interessanten und spannenden Lernreise werden.
Na Lust bekommen, es auszuprobieren? Es ist erst eine Woche im neuen Jahr vergangen, also ist es noch nicht zu spät mit den gefassten Vorsätzen zu experimentieren oder sich – falls Ihr es noch nicht getan habt – erst mal neue Ziele zu setzen. Viel Spaß dabei!

Herzlichst

Eure Patrizia